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SZ 04.04.2002
Angst
Drohungen gegen jüdische Gemeinden
Die Polizei beschützt Synagogen rund um
die Uhr und leistet in einigen Fällen Personenschutz. „Unsere Mitglieder sind
beunruhigt“, sagt ein Sprecher.
Von Christian Rost und Mike Szymanski
Drohungen bis hin zum Mord überschatten in
München das jüdische Pessach-Fest. Nach den Brandanschlägen auf Synagogen in
Frankreich und Belgien gelten höchste Sicherheitsvorkehrungen für die jüdische
Einrichtungen in der Stadt. Die Angst vor Anschlägen ist nach einer Welle der
Gewalt im Nahen Osten dennoch groß.
Die Polizei überwacht derzeit etwa zwei Dutzend jüdischer Einrichtungen in
München, darunter die Synagogen in der Stadt. Auch Personenschutz wurde in
einzelnen Fällen angeordnet. Zwar gebe es bislang keinerlei Hinweise auf
Anschläge in Deutschland, so Polizeisprecher Peter Reichl.
Nach den Übergriffen im benachbarten Ausland würden die Sicherheitskräfte an
möglichen Zielen aber „sehr präsent“ sein. Im Falle einer konkreten Bedrohung
will die Polizei die Schutzmaßnahmen, „weiter hochfahren“, wie Reichl sagt. Die
Vorkehrungen dafür seien getroffen.
Schon jetzt bewachen mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten Einrichtungen
wie die Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde am Gärtnerplatz. Diese
„festen Standposten“ werden unterstützt von technischen Überwachungseinheiten
der Polizei und anderen Zivileinsatzkräften.
"Die Lage ist besorgniserregend"
Die Israelitische Kultusgemeinde in München steht in ständigem
Kontakt mit einem Verbindungsmann der Polizei. Ein Beamter der Abteilung Einsatz
am Polizeipräsidium sei eigens dafür abgestellt worden, mögliche Schwachstellen
in den Schutzmaßnahmen auszuloten, wie Peter Reichl berichtet.
Dennoch ist die Angst vor Übergriffen bei den Angehörigen und Mitarbeitern der
jüdischen Einrichtungen groß: „Die Lage ist besorgniserregend“, sagt Marian
Offman, Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde. Im Büro an der Reichenbachstraße
gingen immer wieder Drohungen ein, verstärkt seit den Ereignissen vom 11.
September.
Manche Mitglieder der Gemeinde überlegten sich schon, ob sie nach der jüngsten
Welle der Gewalt im Nahen Osten die täglichen Gottesdienste zum Pessach-Fest in
der Synagoge, das heute endet, noch besuchen sollten. Offman indes hält die
Sicherheitsmaßnahmen der Polizei für ausreichend. „Es wurde alles nach den
besten Möglichkeiten gesichert“, sagt er.
Die Polizei bewacht die Synagoge rund um die Uhr. Auch die Vorsitzende der
Gemeinde, die Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Charlotte Knobloch, bezeichnet die Schutzmaßnahmen als ausreichend.
Die jüngsten Brandanschläge sorgen auch in der kleineren jüdischen
Beth-Shalom-Gemeinde für Verunsicherung. Das Telefon nimmt eine Mitarbeiterin
nicht mehr ab. „Ich warte erst, wer sich auf dem Anrufbeantworter meldet“, sagt
die 55-Jährige, die ihren Namen aus Angst vor Übergriffen nicht in der Zeitung
lesen will.
Seit der Eskalation im Nahen Osten hätten sich Drohanrufe gehäuft. Unbekannte
hätten sie am Telefon als „Mörder“ beschimpft und mit Sätzen wie „Auch ihr seid
dran“ bedroht. Die Räume, die die Gemeinde regelmäßig für Gottesdienste und
Veranstaltungen anmietet, kennen nur die etwa 150 Mitglieder – und die Polizei,
die Streife fährt.
Dennoch: „Unsere Mitglieder sind beunruhigt“, heißt es aus dem Vorstand der
Gemeinde. „Es hat ja auch schon Anschläge im Ausland gegeben. Die Lage ist
ernst. Unser bester Schutz ist, unbekannt zu bleiben.“
Rechte Szene im Griff
Von Seiten der in München lebenden Palästinenser
oder anderer Muslime rechnet die Polizei allenfalls mit Demonstrationen. Auch in
Bezug auf die mehrere hundert Personen umfassende Skinhaed-Szene, die als so
genannte Trittbrettfahrer während des Nah-Ost-Konfliktes mit Übergriffen in
Erscheinung treten könnte, sehen die Behörden keine Gefahr. „Die rechte Szene
haben wir im Griff“, versichert Polizeisprecher Reichl. |