
Jüdische Gemeinde Weiden
Jahresbericht 2001
An diesem Tag steht ihr alle vor G’tt
und seid einander verpflichtet,
ein Mensch dem anderen.
Midrasch Tanchuma
Die religiöse Arbeit
Eine Jüdische Gemeinde hat in erster
Linie religiöse Arbeit zu leisten, d.h. wir haben dafür zu sorgen, dass der
Religionsunterricht stattfindet, und dass das g’ttesdienstliche Leben
weitergeführt wird. Zudem ist dafür zu sorgen, dass alle Gemeindeangehörigen die
jüdischen Feiertage innerhalb der Gemeinde begehen können.
Schon allein dies sicher zu stellen, ist hier in Deutschland für eine "kleine"
Jüdische Gemeinde ein Drahtseilakt. Wir aber tanzen über das besagte Seil ohne
jegliches Netz und doppelten Boden und mitunter fehlt uns auch noch die
Balancierstange.
Zum heutigen Zeitpunkt werden wir
überflutet mit Menschen, die kein, oder nur sehr geringes jüdisches
Religionsverständnis haben. Sie haben gelernt, sich „ex negationem“ zu
definieren. Ihre Lebensgeschichte hat sie meist gelehrt, dass Judesein
nicht unbedingt erstrebenswert ist. Und genauso vielfältig wie die Republiken
der ehemaligen UDSSR waren, so sind es auch die Mentalitäten der Leute, deren
Heimat dieses ganze weite Gebiet abdeckt.
Somit muß im neuen Land auch wieder die Religion erstmals ins Bewußtsein rücken
und dann auch gelernt werden.
Das verlangt immer wieder neue Wege in
der Religionsvermittlung. So haben wir immer ca. 40 Schüler/innen im
Religionsunterricht. Wir haben unsere eigenen, vom bayerischen Kultusministerium
genehmigten Lehrpläne, leider fehlt es aber allen Jüdischen Gemeinden an Lehrern
und Rabbinern.
Nunmehr sind wir schon fast zwei Jahre wieder ohne Rabbiner. Unser
„Kurzeit-Rabbiner“ hatte damals in Bern eine Ganztags-Stelle angetreten, nachdem
wir uns nur einen „Halbzeit-Rabbiner“ leisten konnten. Im Kanton Bern gibt es
eine Sonderregelung, wonach die protestantische Kirche eine Pfarrerstelle
unbesetzt lässt und diese für einen Rabbiner für die dortige Jüdische Gemeinde
zu Verfügung stellt. Mit einer Zuzahlung von Gemeindeseite aus, kann man sich
nun leicht einen Rabbiner leisten.
Aber in Deutschland fehlt auch das
Angebot an Rabbinern. Jahrelang hatte man geglaubt, hier brauche man weder
Rabbiner noch Lehrer, weil das jüdische Leben in Deutschland sowieso zum
Aussterben verurteilt sei. Jetzt erntet man die Früchte der Versäumnis. Große
Gemeinden haben ebenso darunter zu leiden und die kleinen bleiben ganz außen
vor.
Wir leben noch immer mit der
Zwischenlösung, eine Aushilfe aus Regensburg zu haben. Die Suche geht nach wie
vor weiter, vielleicht werden auch hier Ausdauer und Zähigkeit belohnt.
Unsere Jugendlichen leisten momentan den Abendgottesdienst am Freitag alleine.
Ein Morgengottesdienst am Shabatt muß entfallen, weil kein Vorbeter zu Verfügung
steht. Zwei junge Erwachsene - Studenten aus dem Bereich der
Kontingentflüchtlinge - die wir über das Conservative Movement vermittelt
bekamen, kommen in unregelmäßigen Abständen zu uns und bereiten unsere Kinder
und Jugendliche auf die verschiedenen Feste vor. Ihre Stunden sind sehr beliebt,
aber beide haben eine weite Anreise, sie kommen aus Berlin und Heidelberg.
Seit dem letzten Jahr haben aber auch wir
einen kleinen Lichtblick. Frau Gesa Ederberg, die jetzt ihre Rabbinatsstudien in
Jerusalem am Schechter-Institut abschließt und im Herbst ordiniert werden wird,
hat im abgelaufenen Jahr die hohen Feiertage bei uns gestaltet. Unsere
Zuwanderer waren von ihrer Art der Religionsvermittlung sehr angetan und wir
sind froh, dass sich daraus eine gute Zusammenarbeit entwickelt hat, die für
2002 sogar ein bundesweites religiöses Seminar in unserer Gemeinde vorsieht.
Andere Feiertage gestalten wir zusammen mit „unserem“ Rabbiner Arnold Turetsky
und dessen Frau Noemi aus New York. Auch er ist besonders mit seinen Purimfeiern
bei unseren Leuten sehr beliebt, weil er auf seine humorvolle Art hier Religion
näher bringt. Er besucht uns immer, wenn ihn sein Weg nach Prag führt. Für uns
ist es immer schön und wichtig zu wissen, dass wir Freunde überall auf der Welt
haben, die uns immer wieder weiter helfen.
Man sieht, auch auf diesem Sektor sind
laufend Kreativität und Improvisation gefordert. Etwas mehr Ruhe und Kontinuität
würden wir uns aber gerade auf diesem Gebiet zur Konsolidierung wünschen.
„Verachte keinen Menschen
und halte keine Sache für fern liegend,
denn es gibt keinen Menschen, der nicht seine Stunde
und keine Sache, die nicht ihren Ort hat.“
(Sprüche
der Väter 4,3)
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