Spuren und Fragmente:
Jüdische Bücher, jüdische Schicksale in Nürnberg
Ausstellung im Pellerhaus, Nürnberg
Die israelitische Kultusgemeinde und die Stadtbibliothek
öffneten zum Jubiläumsjahr der Stadt Nürnberg ihre Archive und ermöglichen so
den Zugang zu der einmaligen, rund 8.000 Titel umfassenden Schriftensammlung,
die seit Kriegsende in den Magazinen ruhte.
Julius Streicher, der berüchtigte und verbrecherische Judenhasser und
Herausgeber der Hetzschrift "Der
Stürmer", hatte die Bücher und Schriften aus jüdischem Gemeinde- oder
Privatbesitz beschlagnahmen lassen und sammelte sie in der Bücherei der
Schriftleitung des "Stürmer". Die Historiker werden sich mit der Frage
beschäftigen müssen, warum Streicher dies tat. Wollte er Material und Belege
sammeln für seine Schmähartikel oder war es schlichte Sammel-Leidenschaft?
Auf jeden Fall entging diese heute so wertvolle Judaica-Sammlung der
Vernichtung. Die Amerikaner stellten sie zum Ende des Krieges sicher und gaben
sie später an die Israelitische Kultusgemeinde zurück. So blieben wichtige
Spuren jüdischen Denkens und Lebens, die vollkommen verloren schienen, der
Nachwelt erhalten. Der Journalist Leibl Rosenberg übernahm die schwierige und
komplexe Aufgabe, diesen Nachlass in mühevoller Kleinarbeit zu sichten, zu
katalogisieren und zu analysieren. Bis zum 2. Juli sind ausgesuchte Stücke der
Sammlung zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Die in der Ausstellung gezeigten Ergebnisse sind vielschichtig. Denn dem
bibliophilen Menschen können diese Bücher gleich mehrere Geschichten erzählen.
Da sind zum einen die Hinweise auf Druck- und Verlagsorte. Publikationen aus
ganz Europa und darüber hinaus finden sich in der Sammlung. In Avignon oder St.
Petersburg, in Danzig, Frankfurt und Wien, ja sogar in Chicago gedruckte
jüdische Schriften fanden den Weg nach Nürnberg, das vor der
Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ein bedeutendes Zentrum jüdischen
Denkens und Glaubens war. Eine ganze Reihe der Judaica stammt aber auch aus
Nürnberger Druckereien und Werkstätten und erlaubt so Rückschlüsse auf die
historische Vielschichtigkeit des Nürnberger Verlagswesens.
Die Bücher ermöglichen über ihre Inhalte aber auch wichtige Aufschlüsse über
jüdische Kultur, über Brauchtum sowie die Wurzeln und die Entwicklung des
jüdischen Glaubens. Sie sagen etwas aus über die Intensität der Beziehungen, die
so viele jüdische Mitbürger vor ihrer Vertreibung zu ihrer Heimatstadt Nürnberg
unterhielten, lassen jüdisches Leben von 1850 bis heute wieder ins Bewusstsein
rücken und sie schreiben Familiengeschichte(n). Denn die damals noch viel
stärker als heute verbreitete Gewohnheit, Bücher aus dem eigenen Besitz durch
gestempelte oder geklebte Bucheignerzeichen, sogenannte Exlibris, zu
kennzeichnen, erlaubt die Zuordnung zu ihren einstigen Eigentümern und gibt die
Chance zu ganz persönlichen Begegnungen mit den Menschen, in deren Bücherregalen
die Schriften einstmals standen.
Wie das Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoah leisten diese Ausstellung
und dieser Katalog einen entscheidenden Beitrag dazu, die Lebenslinien vieler
jüdischer Bürger und deren Bedeutung für Nürnberg aufzuzeigen. Diese Schriften
sind auch ein Beleg für eine heute unfassbare Heimatliebe. Es erschüttert den
Betrachter, wie übel diese Liebe gelohnt wurde. |