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Die Synagogenbauten der Neuzeit

Von der Betstube
zur ersten Synagoge

Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße:
Städtebaulicher Akzent und Zeichen der jüdischen Emanzipation

Ohel Jakob:
Die Orthodoxen gründen eine eigene Synagoge

Quelle: Synagogen und jüdische Friedhöfe in München, Kap.: Die Orthodoxe Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße

Ein Teil auch der Münchner jüdischen Gemeinde konnte die Modernisierungen, die in den 1870er Jahren im Gottesdienst eingeführt worden waren, nicht mitvollziehen. So nahmen sie Anstoß am 1876 eingeführten neuen Gebetbuch und an der bisher nicht üblichen Begleitung des Gottesdienstes mit Orgelmusik und Chorgesang.

Die Auseinandersetzungen zwischen den liberalen Reformern, die sich in der Münchner jüdischen Gemeinde durchgesetzt hatten, und den Orthodoxen, die auf einem Gottesdienst in der überlieferten Form bestanden, führten zwar nicht wie anderorten zu einer Abspaltung, aber zur Gründung des Vereins "Ohel Jakob" innerhalb der Gemeinde
1.

Die orthodoxen Gemeindemitglieder hatten sich seit der "Modernisierung" des Gottesdienstes in einem Betsaal an der Kanalstraße 29 zu eigenen Gottesdiensten getroffen. Auf eine Anfrage der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I, "ob der Betsaal Kanalstraße 29 dahier ein zu religiösen Versammlungen eines Theiles der Cultusgemeinde bestimmter Ort ist"2, erwiderte die Kultusgemeinde entsprechend einem Briefentwurf von Rabbiner Perles u. a.: "Das Rabbinat und die Verwaltung der Cultusgemeinde haben im Interesse des Friedens und zur Schonung der Gewissensfreiheit von dem ihnen gesetzlich zustehenden Einspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht und auf die Einrichtung und innere Ordnung des Betsaales keinerlei Einfluß ausgeübt, sodaß sämtliche innere und äußere Angelegenheiten des Betsaales . . . lediglich von Mitgliedern desselben geregelt werden"3.


Die Kultusgemeinde distanzierte sich also in zurückhaltender Weise von den Orthodoxen, deren Kultausübung sie eben nur tolerierte, aber eigentlich nicht billigte. Diese Distanzierung wurde noch deutlicher, als die Orthodoxen den — naheliegenden — Versuch unternahmen, die alte Synagoge an der Westenriederstraße nach dem Neubau der Hauptsynagoge für ihre Gottesdienste zu mieten. Am 23. August 1887 richteten die "zwei Vorstände und ein langjähriges Mitglied des in der Kanalstraße dahier aus Privatmitteln eingerichteten Gotteshauses ... im einstimmigen Auftrage ihrer sämtlichen Teilnehmer und einer größeren Anzahl von Gesinnungsgenossen"
4 ein Gesuch an die Verwaltung der Kultusgemeinde, diese "wolle die bisherige Synagoge nach erfolgter Einweihung der neuen Synagoge ... miethweise überlassen"5.

Begründet wurde das Gesuch damit, daß "der Gottesdienst in der gemeindlichen Synagoge eine vollständige Verwandlung" erfahren habe, "durch welche eine große Anzahl von Gemeindemitgliedern sich in ihrem Gewissen gezwungen fühlten, die Synagoge, das einem Theil von ihnen von frühester Kindheit her hochehrwürdige Gotteshaus zu meiden und sich selbst Stätten der Andacht zu begründen". Die Antragssteller hielten es nur für recht und billig, daß sie, nachdem die Gemeindeverwaltung "ihre Bedürfnisse ... in wahrhaft großartiger Weise" mit dem Bau der Hauptsynagoge befriedigt hatte, die freigewordene alte Synagoge "zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Minderheit" zu Verfügung gestellt bekämen
6.

Aus den Ausführungen der Bittsteller geht hervor, daß die Gemeindeverwaltung angeblich zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch gewillt war, den alten Synagogenbau zu erhalten. Es gebe aber — so fahren die Unterzeichner des Gesuchs fort — Bestrebungen "von anderer Seite, um die Erfüllung unserer Wünsche auf immer unmöglich zu machen", und so werde versucht, "nachträglich noch die Veräußerung der alten Synagoge zu veranlassen". Gegen einen Verkauf seien aber "nahzu alle Gemeindemitglieder". Der bauliche Zustand des Gotteshauses sei zwar unbefriedigend, sodaß es nicht ohne "erhebliche Reparaturen auf Jahre hinaus in Gebrauch genommen werden kann", aber mit einem Kostenaufwand von etwa 30.000 Mark könne die Synagoge in einen "auf Generationen hinaus genügenden baulichen Zustand gebracht werden"7. Die orthodoxen Gemeindemitglieder boten für die mietweise Überlassung der alten Synagoge eine Jahresmiete von 2.500 Mark auf 12 Jahre an, sowie die Übernahme der Hälfte der von ihnen veranschlagten Renovierungskosten, also 15.000 Mark. Für die "Ausübung des Cultus" würden keinerlei Kostenansprüche an die Gemeinde gestellt, außerdem sollte dieser "das unbeschränkte Recht der Aufsicht und Überwachung des in der Synagoge auszuübenden Gottesdienstes" eingeräumt werden. Mit Nachdruck wurde schließlich die Gemeindeverwaltung darauf hingewiesen, daß es auch ihre Pflicht sei, "für die religiösen Bedürfnisse der Minderheit Sorgen zu tragen"8.

In
einer Anlage zu dem Gesuch erhoben die Unterzeichner die Forderung nach einer Gebetsordnung in der orthodoxen Synagoge, "in der Weise, welche bis zu Jahre 1850 in der israelitischen Cultusgemeinde München üblich war, ohne Benützung von musikalischen Instrumenten nach der Lehre der jüdischen Weisen geübt"9.

Rabbiner Perles erklärte sich in einer von der Gemeinde erbetenen Stellungnahme mit der Einrichtung eines besonderen Gottesdienstes für die "conservative Minorität" auf Kosten der Gemeinde und "unter Aufsicht und Leitung der Gemeinde und des Rabbinats einverstanden", meinte aber, "die miethweise Überlassung eines Betlokales Seitens der Gemeinde .. . zur selbständigen Schaffung eines Gottesdienstes auf eigene Kosten" nicht befürworten zu können, "da dies der Würde und Autorität der Gemeinde nicht entspräche und die Verlängerung des gegenwärtig hier bestehenden Zustandes bedeutete"10.

Wie Rabbiner Perles zeigte auch die mit dieser Angelegenheit befaßte "Commission für Finanz- und Synagogenwesen" zwar Verständnis für das religiöse Anliegen der orthodoxen Minderheit, aber ebenfalls keine Bereitschaft zum Entgegenkommen im Hauptanliegen, eben der Erhaltung der alten Synagoge. Es gebe keinen Beschluß der Gemeindeverwaltung, "die alte Synagoge nicht zu veräußern". Es bestehe für die Kultusgemeinde "keine rechtliche Verpflichtung, neben der räumlich für die Gesamtgemeinde vollkommen ausreichenden großen Synagoge, in welcher ein wenn auch sogenannter reformierter, so doch auf dem Boden des Judenthums stehender Gottesdienst eingerichtet ist, für die der conservativen Richtung angehörenden Gemeindemitglieder einen besonderen Gottesdienst einzurichten". Es entspräche aber "den Grundsätzen der Billigkeit" von Gemeindewegen "auch für die Befriedigung der gottesdienstlichen Bedürfnisse jener Gemeindemitglieder zu sorgen, welche in Folge religiöser Bedenken an dem Gottesdienste in der Synagoge sich nicht betheiligen zu können glauben". Ein entsprechender Beschluß sei bereit nach der Reformierung des Gottesdienstes im Jahre 1876 gefaßt worden". Dennoch müsse die Frage, ob die alte Synagoge für conservative Gottesdienste zur Verfügung gestellt werden könne, entschieden verneint werden und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen könne mit Rücksicht auf die bereits vollzogene "Gewährung von Ersatz für die Betstühle in der alten Synagoge" durch Betstühle in der Hauptsynagoge eine Wiedereröffnung der alten Synagoge nicht in Aussicht genommen werden. Zum anderen, und das war wohl das wesentliche Argument, sei die Finanzlage der Gemeinde angesichts der Kosten für den Synagogenneubau und der Notwendigkeit, bei der neuen Synagoge in absehbarer Zeit ein Gemeindehaus bauen zu müssen, mehr als angespannt. Aus einer hier angeführten Aufstellung geht hervor, daß die Kultusgemeinde Schulden von ca. einer Million Mark hatte.

"Die Gemeinde schuldet:

  • a) an die bayerische Hypotheken und Wechselbank 4 % Annuitätenkapitalien im Betrag von M 321.000.—
  • b) aus dem 4 % Synagogen-Baudarlehen 459.500.—
  • c) aus dem Kaufe der Häuser No 3 und 5 der Herzog-Max-Straße einen 4 % Kaufschillingsrest von 150.000.—

in Summa M 930.500.—

Bei Aufnahme eines Anlehens von M 130.000 zum Baue des Gemeindehauses würde sich sonach die Gemeindeschuld auf M 1.060.500.— erhöhen".

Bei Erhaltung der alten Synagoge sollten "nach den früher gepflogenen Erhebungen" die Reparaturkosten mindesten 80.000 Mark betragen, womit sich die Schuldenlast der Gemeinde auf 1.140.500 Mark erhöht hätte. Die Commissionsmitglieder erklärten, das könne die Gemeinde nicht tragen, ganz zu schweigen davon, daß sie nicht in der Lage wäre, neben den laufenden Kosten für den Unterhalt der Hauptsynagoge auch nach die für die alte Synagoge aufzubringen. Die "Cultusbeiträge" seien ohnehin seit 1880 um 40 % angehoben worden, eine weitere Anhebung sei nicht zu verantworten.

Angesichts der angespannten Finanzlage schien es den Verantwortlichen "dringend geboten, das beträchtliche Kapital, welches durch den Werth der alten Synagoge und des jetzigen Gemeindehauses repräsentirt wird, durch den baldigen Verkauf dieser Liegenschaften flüssig zu machen, und dadurch die Mittel zur Erbauung des neuen Gemeindehauses zu gewinnen".

Die Commission schlug zu Befriedigung der Bedürfnisse der konservativen Gemeindemitglieder vor, "daß mit dem Bau des neuen Gemeindehauses . . . zugleich auch der Bau eines Betssales verbunden wird". Diesen könnten die Orthodoxen mitbenutzen "auf Kosten der Gemeinde und unter Leitung und Aufsicht der Verwaltung und des Rabbinats".

Der Verkauf und damit auch der Abbruch der Metivier-Synagoge war also beschlossene Sache. Am 29. Oktober 1888 wurden die Grundstücke Westenriederstraße 7 und Frauenstraße 20 mit den darauf befindlichen Gebäuden — der Synagoge und dem alten Gemeindehaus — öffentlich versteigert, "das erzielte höchste Angebot betrug 206.000 Mark", geboten von dem Realitätenbesitzer Anton Riehl
11. Bereits Anfang 1889 wurden die Gebäude abgebrochen.

  • 1. L Baerwald, Juden und jüdische Gemeinden in München, in Lamm a a 0 S 24
  • 2. Leo Baeck Institut New York 1849, Betr. Anfrage der königlichen Staatsanwaltschaft am Landgericht München, 9.11.1886
  • 3. Leo Baeck Institut a a 0 , Antwortentwurf von Rabbiner Perles, ohne Datum
  • 4. Leo Baeck Institut a a 0 , Gesuch 23 August 1887
  • 5. Leo Baeck Institut a a 0 , Bericht der Commission für Finanz- und Synagogenwesen vom 27 November 1887
  • 6. Gesuch vom 23 August 1887 a.a.O. p1
  • 7. ebd.. p2f
  • 8. ebd.. p8
  • 9. ebd.. p6
  • 10. Bericht der Commission für Finanz- und Synagogenwesen
  • 11. Häuserbuch Bd. 4, S. 558

Verz. einiger Abb. im Buch:

40 Synagoge an der Westenriederstraße Lavierte Feder Zeichnung von L Huber, 1889
41 Synagoge an der Westenriederstraße vor dem Abbruch 1889 Aquarell von Puschkin



42 Plan für den Bau der orthodoxen Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße, vormals Canalstraße


 

Die Orthodoxe Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße


43 Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße

Die orthodoxen Münchner Juden gaben aber nicht auf, sie wollten eine würdige eigene Synagoge. Dank großzügiger und wohlhabender Mitglieder — so gehörte u. a. die einflußreiche Bankiersfamilie Feuchtwanger zu ihnen — konnte bereits 1891 der Grundstein für eine orthodoxe Synagoge an der Kanalstraße 23 — später Herzog-Rudolf-Straße 3 — gelegt werden, in unmittelbarer Nähe des bisherigen Betsaales an der Kanalstraße 29. Anläßlich des Richtfestes für die "Ohel-Jakob-Synagoge" berichtete der Stadtchronist: "Der Erbauer derselben, Architekt August Exter, hat in derselben den schon bestehenden Gotteshäusern ein weiteres durchaus würdiges hinzugefügt... Die Länge beträgt 16 Meter, die Breite 12 Meter und die Höhe 19 Meter. Es sind rund 150 Männer- und Frauensitzplätze vorhanden... Die Facade an der Kanalstraße ist ziemlich einfach gehalten, der Stil des ganzen ist romanisch"17.

17. Chronik, 28. August 1891, S. 1422

Der Architekt August Exter, geboren am 18. Mai 1858 in Bad Dürkheim, gestorben am 7. Dezember 1933 in München, machte sich in München vor allem einen Namen als "Pionier des Einfamilienhauses". So schuf er u. a. die Villenkolonien I und II in Pasing, außerdem die "Siedlung für den Mittelstand" in Obermenzing sowie Siedlungen in Laim, Gauting und Gröbenzell. Die Ohel-Jakob-Synagoge war der einzige Sakralbau, den Exter schuf. Weshalb gerade er mit dem Bau beauftragt wurde, ist nicht bekannt.

Rund 250.000 Mark ließen sich die orthodoxen Gemeindemitglieder den Bau kosten, ein Vielfaches dessen, was sie 1887 als Beitrag zur Renovierung der alten Synagoge angeboten hatten, und sie bestritten die Kosten "aus Eigenem". Einige — so berichtete Rabbinatsassistent Ehrentreu später bei der Einweihung — hätten "wie es beim Bau des zweiten Tempels geschah, mit der einen Hand den Bau gefördert mit der anderen gekämpft, unablässig gerungen und gekämpft, um Schwierigkeiten und Hindernisse . . . wegzuräumen".

Am 25. März 1892 konnte die feierliche Einweihung des Betsaales des "Vereins zur Förderung der jüdischen Wissenschaft", wie sich Ohel Jakob auch nannte, stattfinden. Neben Ehrentreu, dem Rabbiner von Ohel Jakob, sprach auch Gemeinderabbiner Perles, der damit die Zusammengehörigkeit der gesamten jüdischen Gemeinde verdeutlichen wollte. In seiner Rede rühmte Perles "die frommen Beter, die mit heiligem Eifer und rühmlichem Opfersinn diese Andachtsstätte errichtet haben, in welcher sie — eingegliedert in den festen Verband unserer Cultusgemeinde — doch dem Zuge ihres Herzens folgend, nach der alten Weise der Väter den Herrn verehren und den Weg zu ihm suchen wollen".

Die Auseinandersetzungen zwischen liberaler Mehrheit und orthodoxer Minderheit in der Israelitischen Kultusgemeinde, zeitweise mit großer Schärfe und Intoleranz auf beiden Seiten geführt, ebbten allmählich ab, man kam nach und nach zu einem friedlichen Nebeneinander. Nach einem erneuten Aufleben der Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden religiösen Richtungen wurde schließlich im Jahr 1907 ein "Ausgleich" herbeigeführt, "der hinsichtlich der Anerkennung der rechtlichen Grundlage für die orthodoxe Synagoge auch die Zustimmung des Ministeriums gefunden hat". Die Gesamtgemeinde leistete von da an für die Ohel-Jakob-Synagoge einen regelmäßigen Zuschuß, drei Mitglieder der orthodoxen Synagoge gehörten auch der Verwaltung der Gesamtgemeinde an.

1917, 25 Jahre nach der Einweihung der Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße, hatte sich die orthodoxe Gemeinde nahezu verdreifacht, das in den Ausmaßen doch recht bescheidene Gotteshaus war zu klein geworden, "so daß, wenn erst wieder normale Verhältnisse eingekehrt sind, wohl mit der Notwendigkeit der Erweiterung der Synagoge... gerechnet werden muß". Die Verhältnisse wurden allerdings nicht mehr "normal". Nach dem verlorenen Weltkrieg war es im Zeichen eines zunehmenden Antisemitismus in immer breiteren Kreisen kaum mehr möglich, einen Synagogenbau durchzusetzen, ganz abgesehen davon, daß die jüdischen Deutschen ebenso unter den wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Krieges litten, wie ihre Landsleute. Schließlich war Ohel Jakob ja als "Verein" stärker von den Zuwendungen seiner Mitglieder abhängig, als die Gesamtgemeinde.

 

 

 

Die Synagoge der Münchner Ostjuden

Und doch sollte in München noch kurz vor- der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, bei denen der Antisemitismus ja an der ersten Stelle ihrer abstrusen politischen Ideen stand, eine weitere Synagoge erbaut werden.

Nach der Jahrhundertwende hatte die Zahl der Juden in München erheblich zugenommen. Eine wesentliche Ursache dafür war die Zuwanderung aus dem Osten, aus Rußland — wo Pogrome viele zur Auswanderung gezwungen hatten —, aus Österreich und Ungarn. So gab es 1910 unter rund 590.000 Einwohnern der Stadt 11.083 Juden. 27 Prozent dieser Juden war im Ausland geboren, meist in Rußland oder Galizien. Eine zweite Zuwanderungswelle von Ostjuden kam nach den Ersten Weltkrieg aus Rußland, auf der Flucht vor dem bolschewistischen Terror.

Die jüdischen Zuwanderer aus dem Osten konnten sich mit der Religionsausübung ihrer deutschen Glaubensgenossen nicht anfreunden. Diese "Ostjuden Münchens brachten das alte Erbteil, die jüdische Tradition. Das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Juden verband sie auch in dem neuen Milieu zu einer geschlossenen Gruppe ... Weniger war es die Abneigung der einheimischen Juden, als vielmehr das Verlangen nach eigenen, wesensgleichen Formen des Zusammenlebens, das die Ostjuden beherrschte und sie von der bodenständigen Religionsgemeinde absonderte"1. Sie gründeten daher eigene Betvereine, darunter als die bedeutendsten "Linath Hazedek" und "Agudas Achim", die eigene Betstuben unterhielten2.

11 E. Hörn, Wir und unsere Synagoge, in: Das jüdische Echo 36, 4. September 1931, S. 21

'l W. J. Cahnmann, Die Juden in München 1918—1943, in:

Lamm a. a. 0. S. 33; vgl. ebd. J. Reich, Eine Episode aus der Geschichte der Ostjuden Münchens, S. 400

Da die Ostjuden keine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, hatten sie — obwohl sie ein knappes Drittel der Gemeindemitglieder ausmachten — bis 1918 auch kein Wahlrecht bei den Wahlen zum Gemeindevorstand. Die Israelitische Kultusgemeinde wurde nur von deutschen Juden geleitet. Erst nach 1918 gelang es dann, sich mittels einer gemeinsamen Liste der Zionisten, der deutschen Orthodoxen und der Ostjuden an den Wahlen zum Gemeindevorstand zu beteiligen3. 1918 wurde auch der "Gesamtausschuß der Ostjuden" gegründet, der künftig die eigentliche Repräsentanz der Münchner Ostjuden bildete. Ihm gelang es, "nach jahrelangem Kampf und zäher Arbeit... die Anerkennung der Mitgliederrechte der Ostjuden in der Israelitischen Kultusgemeinde in München zu erringen"4, ein nicht leichtes Unterfangen, denn die deutschen Juden standen in ihrer Mehrzahl ihren Glaubensgenossen aus dem Osten skeptisch wenn nicht gar feindselig gegenüber, fürchtete man doch — wie sich zeigte, nicht zu unrecht —, daß die in ihrem Aussehen und Auftreten fremd wirkenden Ostjuden den Antisemiten willkommenen Anlaß bieten könnten, gegen alle Juden zu agitieren. Letztlich konnten aber die Anliegen von etwa 2300 Ostjuden zu Beginn der 30er Jahre nicht mehr ignoriert werden, und so beteiligte sich die Kultusgemeinde dann auch am Bau der ostjüdischen Synagoge5.

Initiatoren des Baues waren die beiden oben genannten Betvereine, die in der Reichenbachstraße 27 bereits seit 1914 einen Betsaal eingerichtet hatten, der "wohl einer Kegelbahn Raum geboten" hätte, "aber für religiöse Zwecke unmöglich und geradezu entehrend" gewesen sein soll6. Mit dem Bau der ostjüdischen Synagoge im Hinterhof der Reichenbach-

31 M. Kalter, Hundert Jahre Ostjuden in München 1880—1980, in: Münchner Jüdische Gemeindezeitung 11, September 1980, S. 6

41 Hörn a. a. 0. S. 22

5' ebd. S. 22f.

" ebd.S. 22

88

Leo Baerwald, Rabbiner an der Hauptsynagoge, erflehte den Segen Gottes für das neue Gotteshaus und seine Gemeinde12.

Namens der Israelitischen Kultusgemeinde und des Verbandes der Bayerischen Israelitischen Gemeinden beglückwünschte Alfred Neumeyer die Erbauer und den Architekten "zur Fertigstellung des meisterlich schönen Hauses, das, entstanden in einer Zeit schwerster Not durch die Opferwilligkeit eines kleinen Kreises" die Lebenskraft der jüdischen Gemeinde beweise. Die neue Synagoge sei ein sichtbares Zeichen dafür, daß der ostjüdische Bevölkerungsteil sich in der Gemeinde wohlfühle. Elias Straus, stell-, vertretender Vorsitzender der Kultusgemeinde, erinnerte daran, daß diese Einweihungsfeier "wie nicht wenige jüdische Feste in einer Zeit schwerster, ungeheuerster Not" abgehalten werde. Dies sei jüdisches Schicksal. Der Bau der neuen Synagoge erhelle aber "den zähen Lebenswillen unseres Volkes"13.

Straus wie wohl alle bei der Einweihung Anwesende ahnten nicht, daß ihnen die Zeiten "schwerster, ungeheuerster Not" erst noch bevorstanden. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler, der erklärtermaßen erbittertste Feind der Juden, zum Reichs-kanzer ernannt. Nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten auch in Bayern am 9. März 1933 dauerte es nur noch etwas mehr als 5 Jahre, bis die Münchner Synagogen durch Abbruchkommandos oder Feuer aus dem Stadtbild getilgt wurden.

Wie weit die Feier der Einweihung einer Synagoge schon im Jahr 1931 außerhalb der allgemein interessierenden Ereignisse stand, zeigte sich darin, daß die größte der Münchner Tageszeitungen, die

121 Die Einweihung der Reichenbachschul, in: Das Jüdische Echo 37, 11. September 1931, S. 25

"' ebd.

Münchner Neuesten Nachrichten, von diesem Ereignis überhaupt keine Notiz nahm. Die jüdische Konfession war wieder einmal weit davon entfernt, gleichberechtigt neben den christlichen Kirchen zu stehen. Der Weihe der Kirche der heiligen Familie in Neuharlaching am 6. September des gleichen Jahres widmeten die Neuesten Nachrichten natürlich einen ausführlichen Artikel14.

Die Zerstörung der Münchner Synagogen

 

Als die Israelitische Kultusgemeinde 1937 der Errichtung der Hauptsynagoge vor 50 Jahren gedachte, war die Lage der Juden katastrophal geworden. Sie waren wieder, wie so oft in ihrer Geschichte, offener Verfolgung ausgesetzt, waren aus dem Wirtschaftsleben, aus Kultur und Wissenschaft weitgehend verdrängt und durch die "Nürnberger Gesetze" auch wieder zu Staatsbürgern und Menschen "minderer Art" degradiert.

In dieser Situation der Bedrängnis und Verfolgung konnte der glanzvollen Feierlichkeiten 50 Jahre zuvor nur mit Wehmut gedacht werden. In einer äußerst bescheidenen Festschrift zeichneten die führenden Persönlichkeiten der Gemeinde die wechselvolle Geschichte des Münchner Judentums nach, die 1887 mit der Einweihung der Hauptsynagoge einen so hoffnungsvollen Höhepunkt erreicht hatte. Im Vorwort zu dieser Schrift stellten die Herausgeber fest: "Die 50. Wiederkehr dieses Tages festlich zu begehen, ist heute nicht die Zeit. Nur in feierlicher Stunde im Gotteshaus selbst soll die Bedeutung dieses Jubiläums gewürdigt werden"!. Und Rabbiner Baer-

 

 

141 vgl. Münchner Neueste Nachrichten 5.—8. September 1931

11 Hauptsynagoge S. 51

95

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